Bald folgen mehr Fotos, versprochen. Aber das Internet hier macht mich waaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaahnsinnig!!!
Freitag, 19.09.2014
Wir blicken direkt in den Hindukusch und müssen immerzu an diesen saublöden Spruch von Peter Struck denken: „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt.“ So ein Schwachsinn! Übrigens seinerzeit (2002) unter einer rot-grünen Regierung geäußert.
Die karge Wüstenlandschaft weicht einer blühenden Oase. Wir sind nun auch schon deutlich niedriger, auf circa 2500 Metern. Nun gibt es wieder Bäume und üppige Gärten: 3 m hohe Topinambur, Rosen, Cosmeen, Gemüse, kleine Steinmäuerchen, Bäche und heilige Haine, die mit Marco-Polo-Schafgeweihen verziert sind. Der Grenzfluss Pamir, bzw. später dann die Piadsch, ist Ursache des plötzliches Reichtums, aber er trennt auch „hier von dort“. Afghanistan ist nur einen Steinwurf entfernt; man kann direkt in die Wohnzimmer blicken. So haben wir uns das Land des immerwährenden Krieges nicht vorgestellt. Die Lehmhäuser sind sauber herausgeputzt, die Erntearbeiten sind voll im Gange und die Korngarben in Reih und Glied auf den Feldern aufgeschlichtet. Auf den Dächern stapelt sich pyramidenförmig Heu für das Vieh. Alles sieht sehr aufgeräumt aus; von Taliban und Drogenschmuggel ist hier nichts zu sehen.
Aber bei mehreren hunderten Kilometern nahezu ungesichertem Grenzverlauf zwischen Tadschikistan und Afghanistan ist nun auch klar, wie Opium und Heroin ihren Weg nach Europa und Asien finden.
Aber zurück zu dem, was wir konkret wahrnehmen und so gar nicht den Klischees entsprechen mag: Auf der tadschikischen Seite ist es ähnlich schön; ein romantisches Wimmelbuch zum Thema Landleben tut sich vor uns auf. Die Menschen sind in den verschiedensten Verarbeitungsschritten auf ihren Feldern tätig: Weizen mit der Sichel (!) schneiden, Korngarben binden und aufstellen, dann Spreu vom Weizen trennen mittels Esel, Ochsen oder Traktor, dann wenden mit Manneskraft und der Heugabel, schließlich sieben und in Säcke füllen. Esel, Kuh, Schaf und Ziege laufen durch das Bild. Kinder langweilen sich oder helfen mit. Die Frauen bringen eine Stärkung und frischen Tee in großen Thermoskannen. Die Hunde sitzen daneben und sind stille Beobachter des ländlichen Szenarios. So eine Idylle haben wir zuletzt in Rumänien gesehen.
In Ratm machen wir kurz Halt, lassen diese Romantik auf uns wirken und wandern zu den Überresten einer Festung, mitten durch Bäche, Felder, kleine Wäldchen. Wir fühlen uns wie bei „Der Herr der Ringe“, im Land der Hobbits. Ein kleiner Sandsturm verleiht unserm Ausflug eine spezielle Lichtstimmung.
Ohne es zu forcieren, landen wir abends bei der Familie Donabekov im Ort Langar. Eigentlich fragen wir nur einen Passanten nach einer guten Parkmöglichkeit im Dorf. und schon sitzen wir im schicken Pamirhaus von Ikbol, schlürfen Choi, Suppe und werden zu mehreren „Stamperln“ Wodka genötigt.
Ein Pamirhaus ist ein hoch symbolisches Lehmhaus. Von außen ist es ziemlich schlicht gehalten und relativ fensterlos. Licht dringt durch eine Oberlichte in den zentralen, quadratischen Innenraum. Die fünf blau-weißen Säulen tragen die Konstruktion und stehen stellvertretend für Mohammed, Ali, Fatima, Hassan und den Imam Husejn. Das Dach besteht aus einer hölzernen Decke. Die vier um eine Vierteldrehung zueinander versetzten Quadrate symbolisieren die Elemente: Erde, Wasser, Feuer und Luft. Eine Einrichtung ist quasi nicht vorhanden. Sitz- und Essfläche zugleich sind leicht erhöhte Podeste an den Außenwänden, die mit bunten Decken belegt sind. Außerdem gibt es noch einen kleinen Schrank und ein Bücherregal, auf das der Hausherr stolz verweist. Obwohl Gulgunza, seine Frau und die beiden Töchter im Teenageralter sichtlich neugierig sind, sitzen sie etwas abseits und wagen nur scheue Blicke. Als ich ihnen Armbänder schenke, bekomme ich im Gegenzug ein rotes Kopftuch im Russenstil überreicht, das ich mir natürlich gleich umbinden muss. Das kenne ich ja schon von Marokko, wo ich binnen weniger Minuten zur Fatima umdekoriert wurde: Kopftuch, dick aufgetragenen, schwarzen Kajal um die Augen, Duftwolke aus Parfüm und noch Henna auf die Hände. Von daher bin ich nun noch gut davon gekommen.
Unser Hausherr wird zusehends betrunkener und will uns überreden, in seinem Haus zu schlafen – am besten dort gleich einen „Rustam“ oder auch eine „Zoro“ bzw. eine „Mariam“ zu zeugen. Der Pamir, das gäbe saubere Kinder, so betont er mehrmals. Wir lehnen dankend ab.
Samstag, 20.09.2014
Wir verabschieden uns herzlich von der gastfreundlichen Familie und müssen versprechen, dass wir im kommenden Jahr mit Rustam, Zoro oder Mariam wieder kommen werden. Wir tragen es mit Humor, denn an diesem Punkt wird es immer ein bisschen lästig in den muslimischen Ländern. Selbst bei Smalltalk kommt die Frage „Wie viele Kinder habt ihr?“ schon nach kürzester Zeit. Kinderlosigkeit wird als ein großes Unglück betrachtet. Mit der Formel „Budet, inshallah!“, also: „Wird noch, wenn Gott will!“, entspannt man die peinliche Situation und hat dann vorerst seine Ruhe.
Wir kommen durch Dörfer mit lustigen Namen wie Zong oder Vrang. Überall ist es wahnsinnig sauber und aufgeräumt, und die Menschen sind fleißig dabei, ihr Hab und Gut zu bestellen.
In Vrang besuchen wir eines der wenigen erhaltenen buddhistischen Denkmäler Tadschikistans. Auf einer kleinen Stupa am Ortsrand befindet sich der Fußabdruck Buddhas. Tatsächlich kann man hier eine fußförmige Vertiefung im Stein sehen.
Vor dem Islam waren im Pamir vor allem die Glaubensrichtungen Buddhismus und der Zoroastrismus verbreitet. Nun sind die Pamiris Ismailiten, gemäßigte Muslime, die weder Moscheen noch wöchentliche Feiertage kennen. Bildung und Wissenschaft haben eine wichtige Stellung. Der in der Schweiz geborene Prinz Karim Agha Khan IV, nun der 49. Imam und damit der politische Führer des Pamirs, wird hoch geachtet. Er hat in Harvard studiert, ist internationaler Großunternehmer und einer der reichsten Männer der Welt. Ganz offensichtlich bewirkt er auch viel Gutes für seine Leute. Überall ist die Agha-Khan-Foundation präsent. Sie fördert den Bau von Universitäten, Schulen, Krankenhäusern, Straßen und ist verantwortlich für vier Brücken, die nach Afghanistan führen. Damit sollen die beiden Brudervölker wieder vereinigt werden. Die Pamiris sprechen auch nur in den höchsten Tönen von ihm. Ikbol, unser gestriger Gastgeber, wusste auch nur Gutes zu berichten. Der Agha Khan war – laut ihm – maßgeblich daran beteiligt, den Krieg in den 90er Jahren zu beenden, als sich die Orientierungslosigkeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in einem Machtgerangel und einem Bürgerkrieg manifestierte. Wie immer wissen wir viel zu wenig über das besuchte Land, aber der Pamir und damit 45% der tadschikischen Landfläche (allerdings mit einem Bevölkerungsanteil von nur 3%) machen bisher einen sehr guten Eindruck auf uns.
Die Strecke an der afghanischen Grenze ist als Vachan-Korridor bekannt und sehr beliebt bei Motorrad- und Radfahrern. Wir verstehen auch, warum: Die Strecke ist wirklich sehr hübsch und die Versorgungslage gut. Ein hübsches Dörfchen reiht sich an das nächste, und so ist es auch kein Problem, in einem der zahlreichen Guesthouses und Homestays unterzukommen. Für uns ist es hier schon etwas schwieriger, einen geeigneten Stellplatz für die Nacht zu finden. Es gibt keine Seitentäler und durch die beengte Ausgangssituation (Afghanistan & Grenzfluss zur einen Seite, Steilhang auf der anderen Seite) oft nicht einmal die Möglichkeit, direkt an der Straße zu parken.
Mitten in der Nacht klopft das Militär bei uns an und drängt uns, ins nächste Dorf zu fahren, denn es sei gefährlich, direkt am Fluss zu übernachten: Die „Talibi“ würden uns entführen und Geld von unseren Familien erpressen. Vielleicht will man aber auch nur ungestört schmuggeln und keine ungebetenen Zeugen haben? Wir fahren auf jeden Fall ins nächste Dorf und verbringen dort eine ungestörte Nacht.
Sonntag, 21.09.2014
Beim Ort Ischkaschim findet am Samstag immer der „Afghanistan Market“ statt. Von hier kann man über eine kleine Brücke auf einen Markt nach Afghanistan gehen – ein Magnet für Touristen. Wir waren aber zu langsam unterwegs und hatten auch von verschiedenen Seiten gehört, dass der Basar letztlich nichts Besonderes sei. Das Ischkaschim dagegen am Sonntag wie ausgestorben vor uns liegt, hätten wir uns aber auch nicht gedacht, und so kaufen wir nur schnell etwas Obst und Gemüse und fahren weiter Richtung Chorog.
Um weiteren Zwischenfällen mit dem Militär oder eventuellen Taliban-Entführern vorzubeugen, legen wir es diesmal darauf an, uns in einem Dorf „einladen“ zu lassen. Und richtig, kaum stehen wir zwei Minuten unentschlossen mit unserm LKW in der Nähe eines Hauses, so bietet uns schon der junge Hausbesitzer Kaknasar einen Übernachtungsplatz in seinem Garten an und versorgt uns mit Kefir und frischem Fisch. Wir revanchieren uns mit einem Frisbee für die Kinder und T-Shirts.
Montag, 22.09.2014
Ich habe die Grippe, so ein Mist! Mit Gripostad kann ich mich aber einigermaßen auf den Beinen halten, denn wir haben einiges in Chorog zu tun. Angeblich kann ich in der Straße Azizbek 1 mein Original vom GBAO-Permit abholen, das mir bisher nur als Kopie vorliegt. In der Straße befindet sich aber keine Hausnummer dieser Zahl. Nach längerem Fragen erfahren wir, dass die Nummer eins im März bei Streitigkeiten zwischen der Regierung und Einheimischen abgebrannt wurde. Wohin die neue Behörde gezogen ist, weiß keiner. Egal, den Pamir-Highway haben wir ja eigentlich hinter uns, und das ging ja offensichtlich auch mit der Kopie.
Als nächstes müssen wir uns registrieren lassen. Bis zu 30 Tagen darf man in Tadschikistan auch ohne Registrierung verweilen. Wir werden aber circa 32 Tage im Land bleiben. Also suchen wir das „Immigration Office“, die O.V.I.R.. Bis wir das Gebäude gefunden haben, vergeht über eine Stunde. Vor Ort erfahren wir, dass wir folgendes zu einer Registrierung benötigen: 1 Passfoto, 1 Kopie persönliche Daten Reisepass, 1 Kopie Visum Tadschikistan, eine Bestätigung über eine Einzahlung von 140 Somoni bei der Amonatbonk. Das alles ist heute nicht mehr zu schaffen, also gehen wir indisch essen. Das ist eine willkommene Abwechslung zu unserem alltäglichen Speiseplan.
Dienstag, 23.09.2014
Die Registrierung:
Geld bei Bank Nummer eins abheben.
Geld bei der Bank Nummer zwei, der Amonatbonk, einzahlen und sich dabei von einer eingebildeten Banktussi anschnauzen lassen.
Ans andere Ende der Stadt zur O.V.I.R. laufen.
Dort wird alles von Hand abgeschrieben.
Circa eine Stunde im Vorraum warten.
Endlich den ersehnten Zettel in Händen halten.
Was für ein Bürokratismus!
Das sind die unangenehmen Dinge auf einer solchen Reise.
Zur Belohnung nach erlittenen Leiden besuchen wir den Markt. Hier kaufe ich glitzernde paillettenbestickte Stoffe, für die ich Zuhause wahrscheinlich nie einen passenden Verwendungszweck finden werde. Jetzt finde ich sie aber sehr schön!
Nicht nur meine Eltern haben uns den botanischen Garten von Chorog ans Herz gelegt. Er galt lange als der höchst gelegene botanische Garten der Welt. Heute darf er sich mit dem Titel Zweithöchster schmücken. Er liegt etwas außerhalb der Stadt und wird am Fuße des Berges durch eine Schranke gesichert. Der Pförtner nimmt uns 5 Somoni pro Person ab und versichert uns, dass wir im Garten auch parken und ggf. übernachten könnten. Steil winden sich Serpentinen den Berg hinauf. Heppo hat seine liebe Not, unser unhandliches Fahrzeug um die Kurven zu manövrieren und kommt mächtig ins Schwitzen. Oben stehen wir dann vor einem verschlossenen Eisentor. Was tun? Rückwärtsfahren ist an diesem Berg nicht nur gefährlich, sondern unmöglich. Matthias will sich gerade mit der Brechzange an dem Schloss zu schaffen machen, als vom Gelände des botanischen Gartens zwei Jeeps auf das Tor zu fahren. Die Gruppe Wissenschaftler aus Europa und Tadschikistan, die Konzepte zur Angleichung von Studiengängen ausarbeiten, steht nun ebenfalls vor verschlossenen Toren. Der zuständige Türöffner kommt circa eine Stunde später und will das Tor gleich wieder vor unserer Nase schließen. „He, Moment, wir haben doch bezahlt!“ Davon will er nichts wissen, der Mann am Schlagbaum sei nicht sein Kollege, betont er ausgesprochen unfreundlich. Nach längerem Verhandeln und einem Telefonat mit dem Vorgesetzten bittet er uns herein. Für 35 Somoni darf unsere kleine Gruppe inklusive Auto die Nacht im botanischen Garten verbringen. Über der ganzen Diskussion ist es bereits fast dunkel geworden, und wir können nur noch eine kleine Runde drehen. Was wir sehen erfüllt uns aber mit Freude: Der Garten ist ein Apfelparadies. Auf einer riesigen Streuobstwiese stehen hunderte von Apfelbäumen, die schwer an ihren Früchten tragen. Das wollen wir uns morgen früh genauer ansehen.
Mittwoch, 24.09.2014
Wir sind schon um 6 Uhr wach und erkunden den Garten, der mehr einer verwilderten Parkanlage gleicht. Die Anlage wirkt vernachlässigt und ist für Botaniker wahrscheinlich eher enttäuschend. Man vermisst eine durchgehende Beschilderung und eine Einteilung in verschiedene Vegetationsbereiche. Vergeblich suche ich nach einem Bereich Pamirflora.
Beeindruckend ist der Garten aber wegen seines alten Baumbestands und der gestern schon entdeckten Streuobstwiese mit der unglaublichen Sortenvielfalt an Obstbäumen. Wie im Schlaraffenland probieren wir sämtliche Apfelarten. Vor allem ein knallroter mit kirschigem Geschmack hat es uns angetan. Aber auch der kleine rosa Apfel ist lecker. „Und hast Du schon diesen birnenförmigen probiert? Den gelben…? Den grünen…? Und hier gibt es auch noch Birnen und Aprikosen…“
Wir sind fest entschlossen, uns für die Schmach vor dem Tor von gestern Abend zu “revanchieren” und stopfen uns die Taschen voller Äpfel. Unser Vitaminvorrat für die nächsten Tage und Wochen ist gesichert. Fazit: Der botanische Garten von Chorog ist für Pomologen ein Paradies!
Donnerstag, 25.09.2014
Die Grippe schlägt wieder voll zu, und so hüte ich das Bett, während die Jungs einen Ausflug in das Bartang-Tal unternehmen.
Weiter lesen: Richtung Dushanbe
Und das war zuvor: Alichur, Tadschikistan