„Hello, how are you? How is family? How Berit? How you?“ Die Kommunikation ist schwierig, Reeza* kann kaum Englisch. Die fehlende Körpersprache, Gestik und Mimik machen ein Telefongespräch ohne gemeinsame Sprache fast unmöglich. So bemühen auch wir unsere letzten Bocken Farsi: „Man cheili cheili chub. Chubi?“ Was so viel heißt wie: „Ich (mir geht es) sehr sehr gut. Wie geht es Dir?“
So geht das Gespräch eine Weile höflich und weitgehend sinnfrei hin und her. Ist ja auch schön, von unserem persischen Bekannten zu hören. Diesen haben wir zuletzt 2015 im Iran getroffen. Seine Familie nahm uns herzlich ein paar Tage auf und gewährte uns private Einblicke in ihren Alltag. Doch langsam machen wir uns Sorgen um unsere Telefonrechnung und auch um Reezas. Unser Freund scheint unsere wachsende Nervosität zu spüren und rückt endlich mit seinem eigentlichen Anliegen heraus, dabei wahrscheinlich mehrere Stufen Taroof (das komplizierte iranische Höflichkeitssystem) überspringend: „I, wife and son, want come Germany in August. You write me letter?“
Ja, warum nicht? Urlaub in Deutschland! Wir versprechen, unser Möglichstes zu tun und recht bald ein Einladungsschreiben zu schicken. Nichts einfacher als das! Wäre lustig, wenn uns im August tatsächlich die Iraner besuchen kämen. Wir würden uns sehr freuen. Aber herrje, wahrscheinlich bekommen die schicken Stadtbewohner einen ziemlichen Schock, wenn sie sehen, wie wir leben. Mitten in der Pampa, im Zirkuswagen auf knapp 20 Quadratmetern Wohnfläche, Haus und Hof eine einzige Baustelle und kein Badezimmer. Der Kulturschock ist da vorprogrammiert. Aber gut, umgekehrt ging es uns auch nicht anders. Da müssen sie durch.
Sogleich beginne ich im Internet zu recherchieren. Der sogenannte „Invitationletter“ muss Angaben zu den eingeladenen Personen enthalten, des Weiteren zum Reiseziel, -zweck, -zeitraum und der -dauer. Ich schreibe Reeza sofort eine Email mit diesen Informationen – auf Englisch. Aber er scheint mich nicht zu verstehen. Statt der benötigen Angaben erhalte ich eine Fotomontage von seiner Familie: Reeza in Jogginghosen, seine Frau Leila* im eleganten Hosenanzug, unverschleiert und mit nackten Oberarmen, Sohn Ali* in einer Art Schuluniform. In einer zweiten Email steht immerhin die Adresse der Familie, der Rest fehlt. Das Einladungsschreiben, so lese ich weiter im Web, ist elektronisch und auf dem Postweg zu übermitteln. Mit diesem Schreiben können iranische Staatsbürger dann auf der Botschaft ein Visum beantragen.
Am nächsten Morgen hänge ich mich ans Telefon. Ich rufe die Ausländerbehörde an; ich möchte sicher gehen, dass wir bei der Einladung alles richtig machen.
„Jajaja, Invitation letter. Das ist ja gut und schön“, sagt der Herr am andern Ende der Leitung. „Aber zusammen mit der Einladung müssen Sie eine Verpflichtungserklärung abgeben. Wieviel verdienen Sie denn im Monat?“
„Äh, wieso fragen Sie das denn jetzt?“, möchte ich wissen.
„Na, ganz einfach, weil wenn Sie niemanden einladen können, wenn SIe nicht genug verdienen. Eine Einladung bedeutet nämlich auch, Sie sind vollumfänglich verantwortlich für Ihren Besuch, bei Krankheit und…“ , ich bilde mir ein nun einen hämisch triumphierend Tonfall herauszuhören – „…und, im Fall, dass Ihre Gäste A-S-Y-L beantragen. Dann sind Sie fünf Jahre lang finanziell für diese zuständig, bis hin zur A-B-S-C-H-I-E-B-U-N-G.“ Ich schlucke und erfrage kleinlaut das zur Einladung benötigte Nettogehalt.
Nach dem Gespräch bin ich sauer: „Wie mies ist das denn? Wie scheinheilig ist unsere Politik, die solche Gesetze ersinnt? Das kommt ja einem trumpschen Einreiseverbot gleich.“
Wir sind entsetzt und fühlen uns schäbig. Wie nur sollen wir das unserem Bekannten beibringen, dass wir sie nicht einladen können, bloß weil wir zuwenig Kohle verdienen? Wir haben schreckliche Gewissenkonflikte, und gleichzeitig werden wir misstrauisch: Ist Reeza wirklich so naiv zu glauben, mal eben zwei Wochen Urlaub in Deutschland machen zu können? Oder will er vielleicht tatsächlich Asyl beantragen? Auf Drängen seiner Frau erkundigte er sich bereits im Iran mehrfach nach Jobmöglichkeiten in unserem Land. Oder ist der Besuch vielleicht nur ein Traum und die persische Art Kontakt zu halten – eine Art von Smalltalk?
Wir wissen es nicht und werden es so schnell nicht erfahren. Ich fühle mich schlecht, vor allem weil ich auch insgeheim erleichtert bin, dass wir nicht genug verdienen.
Reeza habe ich eine lange Entschuldigungs-Email geschrieben, auf Englisch. Unser Freund antwortete prompt. Es kam eine leere Nachricht ohne Worte.
* Namen und Angaben zur Familie geändert.