Brief aus Marokko
Ende August 2019:
Seltsamer Zufall oder Schicksal? Nächste Woche soll unsere nächste große Reise losgehen, diesmal nach Westafrika. Und nun bekommen wir einen Brief aus Marokko. Wie merkwürdig!
Monsieur Abdoullah schreibt uns. So nannten wir ihn auf jeden Fall während unserer letzten Reise. Als Absender steht da nun aber El Habty. Doch er muss es sein, denn im Kuvert finde ich den Brief, den ich 2011 an ihn und seine Familie geschickt habe. Darin bedanke mich für das Zusammentreffen und den leckeren Couscous und erwähne ein weiteres Treffen im Sturm am Strand. Auf der Rückseite meines Briefes finde ich nun ein paar nette Zeilen. Monsieur Abdoullah teilt uns seine neue Adresse in Casablanca mit. Wenn wir wieder in Marokko seien, sollen wir uns bei ihm melden. Was für ein Zufall! Oder besser gesagt: Was für ein gutes Omen für unsere Reise.
Ich muss schmunzeln. So sind sie, die Marokkaner. In Bayern würde man sagen: „Die derschmecken des!“, zu Deutsch: Die spüren einfach, dass sich Besuch ankündigt. Das hört man ja auch immer von den Menschen, aus der Wüste, den Tuareg und so, dass die genau wissen, wann jemand ankommt. Tatsächlich war das auch bei unseren letzten Reisen nach Marokko ähnlich. Da gab es zwar auch schon moderne Kommunikationsmittel, aber es war trotzdem komisch: Immer wenn wir an einem Ort ankamen, stießen wir auf marokkanische Bekannte. Gerade so, als hätten wir ein Treffen an eben diesem Ort vereinbart. Informationen reisen einfach schnell in diesem Land. Sie bedeuten Macht und unter Umständen sogar bares Geld. Eine Händlernation wie Marokko hat über die Jahrhunderte wahrscheinlich einen Siebten Sinn entwickelt. Und deshalb wundere ich mich eigentlich nur kurz, dass Monsieur Abdoullah unsere Vorbereitungen erahnt. Schließlich schicken auch wir gerade Unmengen von Gedanken, Gefühlen und Energien in Richtung Afrika.
Wir freuen uns also sehr über die Einladung, haben aber trotzdem gemischte Gefühle. Ich gebe es ja ungern zu, aber Monsieur Abdoullah ging uns damals ein bisschen auf die Nerven. Wir hatten gerade einen Welpen aufgelesen. Er war handtellergroß, sehr jung, sehr klein und etwas schwächlich für ein Hundebaby. Sidi – so hieß unser Adoptivkind bald – sollte mit nach Deutschland kommen dürfen. Verzweifelt suchten wir nach einem Tierarzt im Stadtteil Talborjt von Agadir und wurden schließlich auch fündig. Unser Hund sollte so gut wie möglich auf diese Reise vorbereitet werden und vor allem gültige Reisedokumente bekommen. Die Europäer sind nämlich sehr pingelig und haben Angst vor eingeschleppten Krankheiten, insbesondere Tollwut. Aber das ist eine andere Geschichte,
Wir hatten also in diesem Moment überhaupt gar keine Nerven für soziale Kontakte. Monsieur Abdoullah, den wir ein paar Tage vorher südlich von Agadir kennengelernt hatten und ihn dort mitten im Sturm am Strand zu uns zum Essen eingeladen hatten, hatte es sich nun aber offensichtlich in den Kopf gesetzt, sich mit einem hausgemachten Couscous für unsere Tajine zu revanchieren. Seine Einladung zu sich nach Hause lehnten wir ab und dachten, die Sache habe sich damit erledigt. Hatte sie aber nicht. Hartnäckig verfolgte uns unser neuer Bekannter nun mit einer fertig gekochten Riesenportion Couscous mitsamt Frau und Kind durch die ganze Stadt. Wir versuchten ihn erst zu vertrösten, dann abzuschütteln, aber Monsieur Abdoullah, Polizist von Beruf, wusste stets, wo wir zu finden waren.
Erschwerend kam hinzu, dass unsere Mitreisenden, unterwegs mit eigenem Rundhauber, für die der Couscous ebenfalls gedacht war, nun Paranoia bekamen und überhaupt keine Lust auf einen „Bullen“ hatten. Sie waren schon ein paar Kilometer voraus an den Strand gefahren. Dort wollten sie auf uns warten, bis wir die Sache mit dem Tierarzt erledigen hätten. Nun aber zogen sie einen strikten Bannkreis um sich. Unter keinen Umständen sollten wir uns ihnen mit dem Polizisten im Schlepptau nähern. Diese komplett absurde Situation führte dazu, dass wir also auf der Flucht vor Monsieur Abdoullah waren (dazwischen noch den Tierarzt finden und treffen mussten) und auch nicht zu unseren Freunden fahren konnten.
Letztendlich kapitulierten wir vor Monsieur Abdoullah, seinem Couscous und seiner Familie. Um die Sache hinter uns zu bringen, willigten wir schließlich einem Treffen ein. Dazu bemühten wir eine fette Notlüge und hatten sofort ein schrecklich schlechtes Gewissen: „Wir können nun leider doch nicht zu unseren Freunden fahren, da unsere Freundin plötzlich erkrankt ist an einer seltsamen und sehr ansteckenden Krankheit!“
Den wundersamerweise immer noch warmen Couscous nahmen wir schließlich in einem sehr üblen Viertel inmitten von Huren und Drogendealern am Hafen von Agadir in unserem Lastwagen ein. Madame war verständlicherweise pikiert, ob der üblen Gegend und unseres seltsamen Verhaltens, die kleine Tochter war todmüde und fürchtete sich vor unserem winzigen Hund. Monsieur Abdoullah aber schien offensichtlich glücklich zu sein, da er seine Ehre mit dieser Couscousgegeneinladung wieder hergestellt hatte. Noch Wochen und Monate später rief er mich in Deutschland an, um sich nach unserem Befinden zu erkundigen.
Heute muss ich über diese Geschichte lachen, aber damals kamen wir uns vor wie in einem schlechten Film. Auf jeden Fall könnte es sehr spannend werden, wenn wir uns in ein paar Wochen bei Monsieur Abdoullah melden werden. Africa is calling!