Im Club von Tiken Jah Fakoly gefällt es uns nicht so gut. Uns zieht es stattdessen wieder in den Africa Club.
Wieder einmal landen wir abends vor dem Africa Club; das geplante Konzert fällt jedoch leider aus, weil der Geburtstag des Propheten gefeiert wird. Ein paar Leute hängen aber dennoch vor der Location ab. Ein älterer, gestylter Rastatyp ist dabei, der sich selbst Reggaeblue nennt, und ein paar andere, die wir vom Sehen her schon von unseren andern Besuchen im Club kennen. Obwohl die Mücken gerade besonders fies und stichfreudig sind, setzen wir uns zu der kleinen Gruppe an den Straßenrand. Sie bieten uns Tee an. Als wir aber realisieren, dass dafür erst einer loslaufen muss, um Tee, Zucker und Kohle zu besorgen, lehnen wir ab. „Nein, danke; lieber doch nicht!“ Nun sind alle beleidigt. Wir verstehen nicht ganz, warum das so ist und blicken verwirrt in die Runde. Ein junger Mann mit Feingefühl, dessen Namen ich leider vergessen habe, hält aber eine kleine Ansprache:
„Viele Weiße gehen nur an uns vorbei. Sie nehmen uns nicht wahr und grüßen uns nicht einmal. Wir finden es schön, dass ihr mit uns redet. Nicht nur das, ihr habt euch sogar zu uns auf die Straße gesetzt, mitten in die Mücken. Nun bieten wir euch Tee an – und ihr sagt „Nein!“. Tee darf man nie ablehnen. Aber ich verstehe, dass ihr wiederum höflich sein und keine Umstände machen wolltet. Für uns wäre es allerdings überhaupt kein Problem gewesen.“
Wir sind dankbar für die Aufklärung der kulturellen Missverständnisse, verabschieden uns und steigen in ein Taxi mit zugedröhntem Fahrer, den wir dank unserer Navigationsapp zurück zum „Sleeping Camel“ lotsen können, wo unsere Frau Scherer steht.
Am nächsten Morgen nehmen wir das Angebot von der UN-Beobachterin Linda an, auf unseren Hund aufzupassen. Sie wohnt gerade vorübergehend im Camel, bis ihre Wohnung bezugsfertig ist. Sidi lassen wir zwar ungern alleine, aber da es in unserm LKW sowieso viel zu heiß ist, finden wir die Idee gar nicht so schlecht, ihn ein paar Stunden in einem klimatisierten Zimmer ruhen zu lassen. Wir können die Zeit nutzen, um auch tagsüber mal einen kleinen Ausflug in die Stadt zu machen.
Der Marché Rose ist ein typisch afrikanischer Markt – eng, laut, voll, bunt und dreckig. Hier gibt es alles. In den schmalen Gassen türmen sich Stoffe, Kleidung, Schmuck, Obst, Gemüse, Fleisch und lebendige Tiere.
Eigentlich wollen wir nur schlendern und schauen; wir sind nicht sonderlich in Kauflaune. Weil wir die einzigen Touristen weit und breit sind, werden wir entsprechend forsch von den Verkäufern angesprochen. Ein jeder versucht, uns in seinen Laden zu ziehen, immer lehnen wir jedoch ab. Ein richtig entspannter Einkaufsbummel ist das leider nicht.
Als wir uns in eine vermeintlich ruhige Ecke flüchten, um einmal tief durchzuatmen, steht Abdoulillah vor uns, den wir schon im Institut Francais kennengelernt hatten, als wir seinem Kumpel ein paar CDs abkauften. „Wollt ihr mit zu mir kommen und Tee trinken?“, fragt er uns.
Das gestrige Erlebnis haben wir noch im Kopf („Lehne nie einen Tee ab!“), deshalb sagen wir beide zu. Ein paar Minuten später finden wir uns mitten im Souvenirladen seines Freundes wieder. Nun sitzen wir reichlich überrumpelt und wenig begeistert zwischen Teppichen, grob gewebten Kleidungsstücken mit Mudprints, Malereien, Schmuck und Trommeln. Eigentlich fühlen wir uns deplatziert.
Fies wird es, als der Freund anfängt, sehr verbittert von der Gewalt im Norden des Landes zu erzählen. Unterschwellig droht er uns sogar damit, dem Dschihad beizutreten, wenn wir ihm nichts abkaufen würden. Wörtlich sagt er: „Alle meine Freunde sind mittlerweile im Krieg. Nicht, weil sie das gerne machen wollen, aber die Wahl ist, entweder 10.000-20.000 CFA (15-30 Euro) pro Tag zu verdienen oder zu verhungern. Es kommen ja keine Touristen mehr. Krieg bedeutet ein sicheres Einkommen.“
Die tiefblaue Tischdecke
Zu seinen Worten breitet Abdoulillah vor unseren Augen seine Waren aus, unter anderem eine wunderschöne, handgewebte, indigoblaue Tischdecke mit hellen, gestempelten Dreiecken, immer sieben Reihen, für die Tage, an denen Allah die Welt erschaffen hat. Auch der versprochene Tee wird serviert.
„35.000 CFA, dann gehört euch die Decke!“
„Wir wollen eigentlich nichts kaufen! Außerdem ist uns das viel zu teuer!“
„Kommt schon, nennt euren Preis! Nur ihr könnt uns dabei helfen, nicht in den Krieg zu ziehen!“
Was für eine schreckliche Situation! Wir fühlen uns regelrecht ausgenutzt.
Plötzlich merke ich, wie mir die Tränen über die Wangen laufen. Und nicht nur das, ich bekomme auf einmal einen regelrechten Weinkrampf. Das Schlimme ist, dass ich in Mali oft das Gefühl habe, dass die Menschen auf ganz entsetzliche Art und Weise ehrlich sind. Abdoulillah und sein Freund lügen nicht. Sie sind tatsächlich verzweifelt. Ich habe Mitleid mit ihnen und ihren Familien. Ich fühle mit einem Land, das vom Krieg so gebeutelt wird. Zugleich mag ich es aber überhaupt nicht, derartig missbraucht und übers Ohr gehauen zu werden. Und dann ist da noch die Sorge um unseren kranken Hund… Ich merke, ich kann gar nicht mehr aufhören zu weinen. Seltsamerweise schäme ich mich aber nicht für meine Tränen. „Im Gegenteil.“, denke ich mir, „Das geschieht ihnen recht! Die beiden machen uns gerade das Leben schwer. Dann sollen sie auch ruhig sehen, was das bei mir auslöst.“ Die Männer in der Runde gucken ganz betreten.
Als ich geräuschvoll in einen mir gereichten Stofffetzen schneuze und gerade dabei bin, wieder etwas Fassung zu gewinnen, sehe ich, dass plötzlich alle, Heppo, Abdoulillah und sein Freund, Tränen in den Augen haben. Da sitzen wir nun zu viert in einem Laden, mitten am Marché Rose in Bamako, um ein Stück Stoff herum, das davon erzählt, dass Gott an sieben Tagen die Welt erschaffen hat, und wir heulen gemeinsam über das Elend auf dieser Erde.
„10.000 CFA.“, sage ich in einem klaren Moment. „Und keinen Cent mehr!“
Zähneknirschend willigen die beiden Händler ein. „Ein schlechter Deal! Aber gut…“
Eine tiefblaue Tischdecke, die ich wahrscheinlich nie auflegen werde, ohne dabei sofort in tiefe Trauer zu verfallen, wird in eine braune Plastiktüte verpackt. Nachdenklich verstauen wir das Paket in unserem Rucksack.
Der Ladenbesitzer reicht mir zum Abschied die Hand: „Ich habe in meinem Leben genau zwei gute, weiße Frauen getroffen – eine davon bist du!“ und zu Heppo gewandt: „Du hast eine tolle Frau, weißt du das?“
Es ist entsetzlich – jetzt flennen wir schon wieder alle.