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Radioreise Westafrika #4 – Frauen der Wüste

Selbst in trüben Zeiten gibt es Dinge, auf die frau sich freuen kann.

Diesen Mittwoch 11.11.2020 um 21 Uhr kommt bereits die vierte Ausgabe meiner Radioreise Westafrika, dieses Mal mit einem Special: Frauen der Wüste. Natürlich wieder bei Ghost Town Radio aus Regensburg.

https://ghosttownradio.out.airtime.pro/ghosttownradio_b

Starke Frau mit starker Stimme!

Pünktlich zum Herbst wird es melancholisch! Die Frauen der Wüste erobern die Bühnen der Welt mit Liedern, die ans Herz gehen. Dabei sind sie selbstbewusst, benennen Missstände und singen an gegen sexualisierte Gewalt. Auch dringen sie immer mehr in männliche Domänen vor, spielen zum Beispiel die Kora, ein Instrument, das jahrhundertelang für Frauen Tabu war, oder sie etablieren sich als Gnawa-Künstlerinnen.

Von Marokko, über Mauretanien bis nach Nigeria, Mali und den Senegal erstreckt sich die Sahara.
Die Frauen dieser sehr verschiedenen Länder eint jedoch eines: Im rauen Klima der Wüste haben sie gelernt zu kämpfen! Diese Frauen der Wüste machen auch den Hörer*innen von Ghost Town Radio Mut: Seid laut und lasst euch nichts gefallen!

Frau Scherer bei Matsch und Piste, Teil 2

Bei Matsch und Piste erschien soeben mein Artikel über Mauretanien und Mali:

Mit Frau Scherer durch Westafrika – Teil 2. Mauretanien und Mali

Raus aus der Stadt

Musiktipp: Papa Wemba, der bekannteste Vertreter des kongolesischen Rumbas. Papa Wemba, war stilbildendend für die Bewegung der Sapeurs, der kongolesischen Modehippster.

Chutes de Farako

Fast zwei Wochen waren wir nun in Bamako. Unser Ghana-Visum (eine komplizierte und langwierige Angelegenheit) halten wir endlich in Händen. Auch Sidi scheint sich langsam zu erholen. Zeit, weiter zu fahren.

Zum Abschied erkunden wir mit den Holländern Lisa und Bart (die heißen echt so!) noch einmal die Musikszene.
Den Club gleich hinter dem Sleeping Camel, in dem regelmäßig eine kongolesische Rumbaband spielt, verlassen wir schon bald wieder. Die Musik gefällt uns nicht, und der verzerrte Klang aus den reichlich übersteuerten Boxen ist uns ein Graus. Wieder bin ich darüber erstaunt, wie gesittet das Publikum auf den Loungesesseln still hält. Nur ganz vorne tanzt eine sehr leicht bekleidete Frau, die aber wahrscheinlich zur Band gehört.

Heppo schaltet seinen Partyriecher auf Suchmodus. So landen wir schon bald in einem Kulturzentrum, wo gerade eine Charityveranstaltung stattfindet. Es spielt „Salome“. Leider kommen wir zum letzten Lied vor der Pause, die von den gleichermaßen langatmigen wie reißerischen Reden des Conferenciers überbrückt wird. Auch die Rapper, die man hier wie „Rubber“ ausspricht, langweilen uns mit ihren schlechten Playbacks und peinlichem Gehabe. Lisa und Bart kapitulieren, sie wollen zurück ins Camel. Wir hoffen hingegen auf die zweite Runde von Salome und Band. Und unsere Geduld wird belohnt: Salome tritt in grünem, glänzenden Kleid auf die Bühne, unterstützt von ihrer vielköpfigen und ausnahmslos männlichen Band. Der Keyboardspieler erregt unsere Aufmerksamkeit, er ist nämlich – weiß.

Die Musik ist gut und so psychedelisch wie fast alles, was wir bisher in Mali gehört haben. Endlich einmal trauen sich auch die Zuschauer zu tanzen. Männer wie Frauen (alle ausnahmslos bestens gekleidet) stürmen dazu auf die Bühne und umringen die Sängerin. Alle tanzen in einem großen Kreis, der sich um Salome herumbewegt. Wir gucken uns das Spektakel an und haben bald schon Favoriten. Ich freue mich schon immer auf die langbeinige Schönheit im roséfarbenen Kleid, die bei jeder Runde graziös an uns vorbei schwebt. Ihr optisches Gegenstück, eine kleine, runde Venus von Willlendorf, tanzt ebenfalls ganz wunderbar. Bei jedem Tanzschritt bebt und wackelt ihr Fleisch. Auch ein paar der Jungs haben es echt drauf; mit zuckenden Hüftbewegungen schieben sie sich langsam vorwärts.

Als die Musik immer ekstatischer wird, geben wir uns einen Ruck und lösen uns aus unserer Rolle als Voyeure. Entschlossen drängen wir uns in den Kreis. Freudig werden wir aufgenommen, und nach dem Ende des Liedes sogar von Mittänzern und Bandmitgliedern abgeklatscht. Wir finden, dies ist ein schöner Abschied von Bamako.

Nette Jungs am Parkplatz

Am nächsten Tag kommen wir also endlich weiter. Zum Fahren teilen wir uns eine Kolanuss, über deren Wirkung man sagt, dass sie Energie spendend und belebend wirken soll. Sie soll auch dabei helfen, die Hitze erträglicher zu machen. Der Geschmack der Kola ist aber schrecklich bitter und somit sehr gewöhnungsbedürftig. Als uns außerhalb der Stadt wieder einmal ein korrupter Polizist anhält, der es sich in den Kopf gesetzt hat, von uns zu kassieren, merken wir erst, wie gut die Droge ihre Wirkung tut. Wir texten den Typen dermaßen zu, dass er schon bald genervt die Augen verdreht. Möglichst schnell möchte er uns nun wieder loswerden. Lachend sitzen wir kurz darauf im LKW und merken erst, wie angeregt wir wirklich sind.

Schöner Ort in Mali Missiokoro

Die letzten beiden Nächte in Mali verbringen wir dann – alle Warnungen in den Wind schlagend – mehr oder weniger wild campend in der freien Natur. Bei Missiokoro gibt es eine Naturmoschee, die sich in einer einer großen Felsformation in einer Höhle befindet. Hier vermischt sich der muslimische Glaube mit dem Animismus. Auf einem Steinhaufen werden Schafe und Hühner geopfert, Marabuts sitzen in Felsnischen, beten und beraten Menschen, die mit ihren Anliegen zu ihnen kommen. Der Ort ist wirklich schön. Sogar Paviane gibt es hier, allerdings zeigen sie sich uns nur von Ferne, ganz oben auf dem Felsplateau.

Magische Felsen

Unsere letzte Nacht bei den „Chutes de Farako“ verläuft zum Glück ebenfalls ohne unangenehme Zwischenfälle. Nur ein paar Jugendliche entdecken uns und fragen nach Geld. Obwohl die beiden komplett harmlos wirken, verstecken wir uns mit Frau Scherer bei Einbruch der Dunkelheit ein bisschen weiter im Gebüsch. Ruhig und ungestört verläuft diese Nacht. Bemerkenswerte ist einzig und allein Folgendes: Es ist mal so kühl, dass ich mich mit zwei (leichten) Laken zudecken muss. Wie wunderschön!

Das schlafende Kamel

Bamako: Verliebt in eine Stadt. Geht das denn?

Bamako fühlt sich ein bisschen an wie unglücklich verliebt sein. Ich weiß, das klingt etwas seltsam. „Wie, bitte, kann man denn in eine Stadt unglücklich verliebt sein?“, fragt Freundin Kathi per Mail. Doch, das geht. „Amour fou“ ist auch vielleicht der passendere Ausdruck- eine verrückte Liebe, eine unvernünftige. Die beiden Liebenden passen nicht zueinander. Sie wissen beide, dass sie keine gemeinsame Zukunft miteinander haben, aber trotzdem können sie nicht die Finger voneinander lassen.

„Oh, Bamako! Du seltsame Stadt, in der alles hinter allem verschwindet. Du Möchtegern-Metropole mit deinem tropischen Klima, deinen staubigen Straßen, deinem Smog, deinem Stacheldraht, deinen Mücken, Mofas und deinen wunderbaren, musikalischen Menschen!“ Besonders letztere haben es uns angetan: Nabintou, Keltoum, Alassane, Adama, Reggaeblu, Carole vom Lac du Lassa, der alte Houssman , der junge Houssman, der Kopiershopbetreiber, die Camel-Türsteher mit ihren Scherzen, die Teetrinker aus dem Africa Club und sogar die traurig-fiesen Tischdeckenverkäufer. Verdammt, ihr alle seid gerade dabei, uns das Herz zu brechen! Mit eurem Ernst, eurer Ehrlichkeit, eurer Musik, eurer Melancholie, eurem Humor, eurer Angst und Sorge, eurem Hoffen und Bangen habt ihr uns schon fast um den Verstand gebracht.

Wir sind in einer sehr seltsamen Stimmung. Außerdem bereitet uns Sidi noch immer große Sorgen. Auch wenn das Fieber verschwunden ist, so ist er doch überaus schwach. Mit einer Spritze flößen wir ihm täglich ein Mindestmaß an Flüssigkeit ein.

Harte Jungs mit Heimwehaugen hängen im Sleeping Camel in Bamako ab. Sie haben den Krieg im Kopf.

Und dann ist da noch das „Sleeping Camel“, Hotel, Bar und Restaurant, vor dem wir parken und wo wir gegen Gebühr Klo, Dusche und Internet in Anspruch nehmen dürfen. Die Lodge mit dem Gastronomiebereich ist so gut abgesichert wie ein Knast, nur mit dem Unterschied, dass hier das Innere vor der Außenwelt geschützt wird und nicht umgekehrt. Stacheldrahtrollen liegen auf den meterhohen Mauern und eine Türschleuse mit Kamera, Türsummer und mehreren Wachleuten soll für Sicherheit sorgen.
Tagsüber und auch abends sind vor allem Restaurant und Bar stark frequentiert. Viele der Gäste sind Soldaten, Polizisten, UN-Beobachter und Politiker. Operation Minusma hat gleich um die Ecke ihr Hauptquartier. Auch Abenteurer und Kriegsgewinnler mischen sich unter die Besucher, z.B. “lithium miners“ und “gold diggers“. Beim Mittagessen unter Geschäftspartnern werden die Notebooks aufgeklappt, Excel-Listen mit fantastischen Zahlen herumgezeigt und eine ungesunde Anzahl von Bieren getrunken. „You can make a fortune here!“ Die Hautfarbe fast aller ist – weiß.

Jeden Tag blicken wir in die gleichen Gesichter von harten Jungs mit Heimwehaugen. „Darf ich deinen Hund streicheln?“, fragen uns die Rambos in den verschiedensten Sprachen und werden sentimental. „Hey, good boy!“, sprechen sie mit unserem Haustier und an uns gewandt: „Left two Australian Ridgebacks back home!“ Nun glitzert es in den Heimwehaugen. Schneller Abschied, kurz angebunden. Was bleibt da noch zu sagen? „See you!“ – „Yes, see you!“

Thorsten* (Name geändert) geht eigentlich nicht sonderlich gerne ins Camel. „Too white, too Anglosaxon!“, sagt er. Er kommt heute nur wegen uns hierher. Der gut gekleidete Herr Mitte fünfzig mit marineblauem Maßanzug, weißem Leinenhemd und Goldkettchen würde schlecht in unseren eher linksalternativen Freundeskreis passen. Auch parteipolitisch ist er, der für eine deutsche Stiftung arbeitet, eigentlich nicht auf unserer Wellenlänge. Trotzdem ist er uns mit seiner zynisch-lakonischen Art sehr sympathisch. Auch geben seine kaputten Schneidezähne seinem gepflegten Schwiegermutters-Liebling-Outfit einen verwegenen Touch. Thorsten, so sind wir uns sicher, darf man auf keinen Fall unterschätzen.

Auch umgekehrt haben wir sein Interesse an uns einzig unserem Kennzeichen zu verdanken: R wie Regensburg, Thorstens Heimatstadt.
„Ich halte nicht viel von dem ganzen humanitären Quatsch!“, fällt er mir ins Wort, als ich ihm von Paul erzähle, einem anderen Regensburger, der in Bamako Bewässerungspumpen im Rahmen eines Entwicklungshilfeprojektes baut. „Ist ja alles ganz nett, wenn irgendwelche Organisationen hier Brunnen und sonst was bauen, aber das wäre eigentlich die Aufgabe der Regierungen. Die Menschen sollten doch sagen: Schau, wie toll das unser Bürgermeister gebaut hat! und nicht: Schau, das haben wir einer Stiftung aus Deutschland zu verdanken! In Mali und ganz Afrika hat daher niemand Vertrauen in seine Politiker.“

Thorsten macht gerade mal Pause, um sich eine neue Zigarette anzustecken, dann holt er Luft und schimpft weiter: „Und dann sind da noch gewisse Faktoren, die die Lage in Afrika zusätzlich erschweren.“ Riesige Länder seien das, mit extremen Klimabedingungen und einem enormen Bevölkerungswachstum. „Das Durchschnittsalter in Mali liegt bei 15 Jahren!“, fährt er fort. „In Regensburg fangen sie schon zum Flennen an, wenn es heißt: 2000 Neubürger pro Jahr.” „Wo sollen wir die Wohnungen hernehmen, die Kindergärten und Schulen?“, jammert er mit verstellter weinerlicher Stimme.

Weil er gerade so schön in Fahrt ist, frage ich ihn nach den Ursprüngen des Konflikts in Mali.
„Ganz schematisch erklärt ist das so…“ legt er los und greift schon wieder nach seinen Kippen. Dann erzählt er von einem riesigen Land, mit einem dicht besiedelten Süden und Südosten und einem sehr dünn besiedelten Norden. Dort gebe es keine Infrastruktur, dies sei so etwas wie der vergessene Teil des Landes. Auch seien die meisten Verwaltungsleute Bambara und nicht die dort ansässigen Tuareg. „Da sitzen da also Leute in den Ämtern, die von nichts eine Ahnung und keinen Rückhalt in der Bevölkerung haben.“ Aufstände habe es im Norden unter den Tuareg schon immer gegeben, aber richtig schlimm sei es eben erst 2012 geworden, als diese Unruhen von den Dschihadisten gekapert wurden.

„Und dann das Unwort ‚Terrorismus‘!“, sagt er verächtlich. „Der Staat ist im Norden Malis nicht mehr existent. Das ist richtig, aber dort geht es vor allem um Drogen-, Waffen-, Zigaretten- und Benzinschmuggel. Rein statistisch gesehen kommt hier keiner wegen Terrorismus zu Tode. Die Leute sterben in Westafrika an krassen Krankheiten und Verkehrsunfällen.“

Gestresst blickt Thorsten auf seine Golduhr. „Leute, ich muss leider los! Habe noch zu packen. Morgen fliege ich in den Tschad. War nett euch getroffen zu haben.“ Er legt einen Schein auf den Tisch, der locker für seine zwei Pernods und unsere Getränke reicht. Dann ist er auch schon verschwunden.

Leicht benommen bleiben wir zurück. Dass eine Reise durch Westafrika kein Zuckerschlecken wird, war uns von Anfang an klar. Aber es ist dann doch etwas anderes, mit der Realität konfrontiert zu werden, als sich das Leben vor Ort von der Ferne aus vorzustellen…

Die tiefblaue Tischdecke

Im Club von Tiken Jah Fakoly gefällt es uns nicht so gut. Uns zieht es stattdessen wieder in den Africa Club.

Wieder einmal landen wir abends vor dem Africa Club;  das geplante Konzert fällt jedoch leider aus, weil der Geburtstag des Propheten gefeiert wird. Ein paar Leute hängen aber dennoch vor der Location ab. Ein älterer, gestylter Rastatyp ist dabei, der sich selbst Reggaeblue nennt, und ein paar andere, die wir vom Sehen her schon von unseren andern Besuchen im Club kennen. Obwohl die Mücken gerade besonders fies und stichfreudig sind, setzen wir uns zu der kleinen Gruppe an den Straßenrand. Sie bieten uns Tee an. Als wir aber realisieren, dass dafür erst einer loslaufen muss, um Tee, Zucker und Kohle zu besorgen, lehnen wir ab. „Nein, danke; lieber doch nicht!“ Nun sind alle beleidigt. Wir verstehen nicht ganz, warum das so ist und blicken verwirrt in die Runde. Ein junger Mann mit Feingefühl, dessen Namen ich leider vergessen habe, hält aber eine kleine Ansprache:
„Viele Weiße gehen nur an uns vorbei. Sie nehmen uns nicht wahr und grüßen uns nicht einmal. Wir finden es schön, dass ihr mit uns redet. Nicht nur das, ihr habt euch sogar zu uns auf die Straße gesetzt, mitten in die Mücken. Nun bieten wir euch Tee an – und ihr sagt „Nein!“. Tee darf man nie ablehnen. Aber ich verstehe, dass ihr wiederum höflich sein und keine Umstände machen wolltet. Für uns wäre es allerdings überhaupt kein Problem gewesen.“

Wir sind dankbar für die Aufklärung der kulturellen Missverständnisse, verabschieden uns und steigen in ein Taxi mit zugedröhntem Fahrer, den wir dank unserer Navigationsapp zurück zum „Sleeping Camel“ lotsen können, wo unsere Frau Scherer steht.

Am nächsten Morgen nehmen wir das Angebot von der UN-Beobachterin Linda an, auf unseren Hund aufzupassen. Sie wohnt gerade vorübergehend im Camel, bis ihre Wohnung bezugsfertig ist. Sidi lassen wir zwar ungern alleine, aber da es in unserm LKW sowieso viel zu heiß ist, finden wir die Idee gar nicht so schlecht, ihn ein paar Stunden in einem klimatisierten Zimmer ruhen zu lassen. Wir können die Zeit nutzen, um auch tagsüber mal einen kleinen Ausflug in die Stadt zu machen.

Der Marché Rose ist ein typisch afrikanischer Markt – eng, laut, voll, bunt und dreckig. Hier gibt es alles. In den schmalen Gassen türmen sich Stoffe, Kleidung, Schmuck, Obst, Gemüse, Fleisch und lebendige Tiere.

Eigentlich wollen wir nur schlendern und schauen; wir sind nicht sonderlich in Kauflaune.  Weil wir die einzigen Touristen weit und breit sind, werden wir entsprechend forsch von den Verkäufern angesprochen. Ein jeder versucht, uns in seinen Laden zu ziehen, immer lehnen wir jedoch ab. Ein richtig entspannter Einkaufsbummel ist das leider nicht.

Als wir uns in eine vermeintlich ruhige Ecke flüchten, um einmal tief durchzuatmen, steht Abdoulillah vor uns, den wir schon im Institut Francais kennengelernt hatten, als wir seinem Kumpel ein paar CDs abkauften. „Wollt ihr mit zu mir kommen und Tee trinken?“, fragt er uns.

Das gestrige Erlebnis haben wir noch im Kopf („Lehne nie einen Tee ab!“), deshalb sagen wir beide  zu. Ein paar Minuten später finden wir uns mitten im Souvenirladen seines Freundes wieder. Nun sitzen wir  reichlich überrumpelt und wenig begeistert zwischen Teppichen, grob gewebten Kleidungsstücken mit Mudprints, Malereien, Schmuck und Trommeln. Eigentlich fühlen wir uns deplatziert.

Fies  wird es, als der Freund anfängt, sehr verbittert von der Gewalt im Norden des Landes zu erzählen. Unterschwellig droht er uns sogar damit, dem Dschihad beizutreten, wenn wir ihm nichts abkaufen würden. Wörtlich sagt er: „Alle meine Freunde sind mittlerweile im Krieg. Nicht, weil sie das gerne machen wollen, aber die Wahl ist,  entweder 10.000-20.000 CFA (15-30 Euro) pro Tag zu verdienen oder zu verhungern. Es kommen ja keine Touristen mehr. Krieg bedeutet ein sicheres Einkommen.“

Die tiefblaue Tischdecke

Zu seinen Worten breitet Abdoulillah vor unseren Augen seine Waren aus, unter anderem eine wunderschöne, handgewebte, indigoblaue Tischdecke mit hellen, gestempelten Dreiecken, immer sieben Reihen, für die Tage, an denen Allah die Welt erschaffen hat. Auch der versprochene Tee wird serviert. 

„35.000 CFA, dann gehört euch die Decke!“
„Wir wollen eigentlich nichts kaufen! Außerdem ist uns das  viel zu teuer!“
„Kommt schon, nennt euren Preis! Nur ihr könnt uns dabei helfen, nicht in den Krieg zu ziehen!“
Was für eine schreckliche Situation!  Wir fühlen uns regelrecht ausgenutzt.

Plötzlich merke ich, wie mir die Tränen über die Wangen laufen. Und nicht nur das, ich bekomme auf einmal einen regelrechten Weinkrampf. Das Schlimme ist, dass ich in Mali oft das Gefühl habe, dass die Menschen auf  ganz entsetzliche Art und Weise ehrlich sind. Abdoulillah und sein Freund lügen nicht. Sie sind tatsächlich verzweifelt. Ich habe Mitleid mit ihnen und ihren Familien. Ich fühle mit einem Land, das vom Krieg so gebeutelt wird. Zugleich mag ich es aber überhaupt nicht, derartig missbraucht und übers Ohr gehauen zu werden. Und dann ist da noch die Sorge um unseren kranken Hund…  Ich merke, ich kann gar nicht mehr aufhören zu weinen. Seltsamerweise schäme ich mich aber nicht für meine Tränen. „Im Gegenteil.“, denke ich mir, „Das geschieht ihnen recht! Die beiden machen uns gerade das Leben schwer. Dann sollen sie auch ruhig sehen, was das bei mir auslöst.“  Die Männer in der Runde gucken ganz betreten.

Als ich geräuschvoll in einen mir gereichten Stofffetzen schneuze und gerade dabei bin, wieder etwas Fassung zu gewinnen, sehe ich, dass plötzlich alle, Heppo, Abdoulillah und sein Freund,  Tränen in den Augen haben. Da sitzen wir nun zu viert in einem Laden, mitten am Marché Rose in Bamako,  um ein Stück Stoff herum, das davon erzählt, dass Gott an sieben Tagen die Welt erschaffen hat,  und wir heulen gemeinsam über das Elend auf dieser Erde.

„10.000 CFA.“, sage ich in einem klaren Moment. „Und keinen Cent mehr!“
Zähneknirschend willigen die beiden Händler ein. „Ein schlechter Deal! Aber gut…“
Eine tiefblaue Tischdecke, die ich wahrscheinlich nie auflegen werde, ohne dabei sofort in tiefe Trauer zu verfallen, wird in eine braune Plastiktüte verpackt. Nachdenklich verstauen wir das Paket in unserem Rucksack.

Der Ladenbesitzer reicht mir zum Abschied die Hand: „Ich habe in meinem Leben genau zwei gute, weiße Frauen getroffen – eine davon bist du!“ und zu Heppo gewandt: „Du hast eine tolle Frau, weißt du das?“

Es ist entsetzlich – jetzt flennen wir schon wieder alle.