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Donnerstag, 10.07.2014
Auf unserer Reise haben wir bisher noch keine anderen Reisenden getroffen. In Russland bei N. Chelny sind wir an Engländern mit Expeditionsfahrzeug vorbeigefahren. Und in Semej/Semi Palatinsk begegnete uns auf einer Brücke ein grasgrüner Rundhauber mit deutschem Kennzeichen. Beide Male haben uns die anderen Reisenden aber nicht gesehen, und es gab auch keine Möglichkeit zu wenden.
So freuen wir uns also wie verrückt, als ein Laster mit Berliner Nummer an uns vorbeirauscht…
Vorbeirauscht… Mensch, das gibt es doch nicht: Schon wieder vorbeigefahren!
Verdattert bleiben wir am Straßenrand stehen. Doch da kommt schon ein zweiter, und dieser hält. Das erste, was der Fahrer zu Heppo sagt ist: „I don’t speak German!“ Das Renterpaar aus Tel Aviv, Israel, kommt gerade aus Kirgisistan und nicht mehr aus dem Schwärmen heraus. Jetzt fahren sie weiter nach Russland (für Israelis visumfrei), dann in die Mongolei und weiter bis nach Japan. Dort wollen sie das Auto stehen lassen, für ein paar Monate nach Hause fliegen und hinterher weiter nach Thailand, Laos und Kambodscha. Nicht schlecht! Wir unterhalten uns ein paar Minuten, und dann müssen die Konvoifahrer schon wieder weiter. Alles Gute und eine sichere Reise!
Eine sichere Reise…, wenn wir jetzt schon wüssten, was der Tag noch für uns bereit hält, würden wir wahrscheinlich auf der Stelle stehen bleiben.
Aber noch ist alles prima. Unser Tagesziel ist der Alaköl See, der wegen seiner hervorragenden Wasserqualität gelobt wird. Neurodermitiserkrankte berichten von wundersamen Heilungen. Das salzige und basische Wasser hat im Sommer stets eine Temperatur von 24-26 Grad. Der See ist so groß, dass man selbst bei klarem Wetter nicht bis ans andere Ufer blicken kann. Nur eine Insel soll man sehen. Der Wind, der von China kommend (ja, wir sind nur noch ca. 120 Kilometer von China entfernt!) über die Alaköl Senke weht, lässt Wellen entstehen, und der Strand besteht aus schwarzem Sand. Wir finden, das hört sich super an. Leider sind wir ziemlich spät dran, und wie immer ist es alles andere als einfach, an den See zu kommen. Die Schilfgürtel sind hier kilometerbreit. Dem Reiseführer entnehmen wir, dass es einen moderaten Tourismus auf der Südseite des Sees gibt. Somit auch einen Zugang.
In einem idyllischen Cowboydorf (alle reiten auf Pferden) fragen wir nach einem Zugang zum See. Wortkarg erhalten wir eine Richtungsgeste zur Antwort. Dann müssen wir durch eine Furt und weiter auf einem Damm, entlang von Bahngleisen. Ein Jeepfahrer kommt uns entgegen. Als wir ihn nach dem Weg fragen, wendet er kurz entschlossen seinen Wagen und fährt uns voraus, die komplette Familie mit fünf oder sechs Personen im Auto.
Der Weg wird immer enger und führt uns mitten durch den Sumpf. Die Gräser am Wegesrand sind mannshoch und hängen abenteuerlich in den Weg. Mittlerweile ist es dunkel. Aber sicher kommt der See doch jeden Moment in Sicht. Laut GPS sind wir nur noch drei Kilometer vom See entfernt. Eine Stunde und fast 30 Kilometer fahren wir auf dem holprigen Feldweg ins absolute Nichts. Der freundliche Mann hält vor einer Weggabelung und verabschiedet sich mit den Worten “…jetzt noch hier links und dann Plage…”. Und tatsächlich, wir stehen am Strand.
Ein Widerschein der allerletzten Sonnenstrahlen lässt den Horizont über dem Wasser rot und golden nachglühen. Aber auch hier liegt alles voll Müll, u.a. ein komplettes Hammelskelett und eine Großpackung Windeln (natürlich benutzt) – von den unzähligen Flaschen ganz zu schweigen. Nicht nur ästhetisch ein Problem für uns! Hier können wir auch unseren Hund unmöglich frei laufen lassen.
Also will Heppo noch ein paar Meter weiter fahren. Leise merke ich an, dass ich dem Untergrund nicht so recht trauen würde. Doch da sind wir schon mit dem linken Hinterreifen eingesunken. Da es nicht so schlimm aussieht und wir mit einer ähnlichen Situation schon einmal recht souverän fertig geworden sind, starten wir nach etwas Graben und dem Unterlegen von Sandblechen einen Versuch, rückwärts zu fahren. Doch sofort sinken wir weiter ein. Ein dritter Versuch (weiteres Buddeln natürlich vorausgesetzt) lässt unseren Reifen fast komplett im Morast verschwinden. Frau Scherer befindet sich nun in einer bedenklichen Schieflage. Die ganze Nacht graben wir weiter. Der Boden ist wirklich die Hölle. Es ist der reinste Lehm, der an der Luft sofort betonhart wird und große Salzflocken ausscheidet. Quasi Salzteig! Wir probieren es noch mit Hochbocken, müssen aber irgendwann feststellen, dass wir uns aus eigener Kraft nicht mehr befreien können. Es ist fast drei Uhr, als wir unser Zelt aufbauen und uns ein paar Stunden Schlaf gönnen. Morgen früh müssen wir wohl oder übel Hilfe holen.
Freitag, 11.07.2014
Zum Sonnenaufgang um 4.30 Uhr sind wir alle wieder wach und betrachten das Fiasko. Die Situation ist wirklich schlimm. Der linke Hinterreifen ist bis zur Achse eingesunken, und auch vorne links und hinten rechts müssen wir graben. Frau Scherer hängt schief im Sumpf, und im Umkreis von 30 Kilometern gibt es niemanden. Matthias radelt die 30 Kilometer heldenhaft, bei brütender Hitze, ins Dorf. Heppo, Sidi und ich kauern uns wartend in den Schatten unseres Wohnmobils. Ich fühle mich ein bisschen wie ein Schiffbrüchiger auf einer einsamen Insel mitten im salzigen Meer. Gegen 14 Uhr taucht Matthias mit Irmek, dem netten Mann von gestern auf. Irmek amüsiert sich über uns, hat aber Anstand genug, ein ernstes Gesicht aufzusetzen. Er lässt sich angesichts unserer Anspannung zu dem hübschen Spruch hinreißen: „Sheep relax, dog relax, so also relax!“ Hilfe sei unterwegs, und zwar in Form eines dreißig Jahre alten Kettenfahrzeugs. Das kommt auch eine gute Stunde später mitten durch den Sumpf gewalzt. Die Bergungsaktion dauert ca. drei Stunden, in denen unser Lastwagen wiederholt im Sumpf versinkt, erneut hinten rechts. Diesmal ist es fast noch schlimmer. Das bedeutet: Weitere Stunden graben und nicht die Nerven verlieren. Wir haben unser Auto eigentlich schon abgeschrieben. Um ca. 18 Uhr steht Frau Scherer dann doch wieder auf festem Boden, und bis auf ein paar Dellen und Kratzer scheint nichts weiter kaputt zu sein. Nicht einmal 24 Stunden hat es gedauert, vom Einsinken bis zur Befreiung. Nicht schlecht.
Samstag, 12.07.2014
Endlich kommen wir dazu, im See zu Baden. Schon am Vormittag rücken jedoch Horden von Campingfamilien an, mit den üblichen Begleiterscheinungen.
Wir wollen weiter, haben genug vom Alaköl, der uns so auf Trab gehalten hat.
Heute ist es wirklich besonders heiß, es hat laut Thermometer 43 Grad. Der Fahrtwind fühlt sich an wie ein Heißluftgebläse.
Wir stehen gerade ein paar Meter abseits der Straße in der Nähe eines Funkmastes. Während ich diese Zeilen schreibe, brennt hinter uns die Steppe. Es sieht schön, aber auch wirklich bedrohlich aus. Der Brand ist auf der anderen Seite der Landstraße und wahrscheinlich ca. 10 Kilometer entfernt. Der Wind bläst weg von uns. Wir halten uns trotzdem fluchtbereit. Kasachstan, was machst Du mit meinem Adrenalinspiegel?
Sonntag, 13.07.2014
Um drei Uhr nachts klopft Matthias an unserer Tür: „Das Feuer kommt näher und ist nur noch maximal zwei Kilometer entfernt. Was sollen wir machen?“ Tatsächlich, das Feuer, das über Nacht fast ausgegangen war, lodert wieder hell und hält nun auf uns zu. Der Wind hat gedreht und bläst nun in unsere Richtung. Noch zieht der Qualm an uns vorbei, aber man kann das Feuer schon riechen, und eine Feuerlinie schiebt sich beharrlich in Richtung der Landstraße, die nur 800 Meter von uns entfernt ist. Eilig packen wir zusammen, starten den Motor und fahren an dem Brandherd vorbei sowie minutenlang an verbrannter Steppenlandschaft. Vereinzelt qualmt oder brennt es noch am Straßenrand. Wir fühlen uns wie im falschen Film. Aber uns sind ein paar spektakuläre Fotos gelungen.
Im Rückspiegel sehen wir den Sonnenaufgang, und wir genießen die angenehme kühle Temperatur von „nur“ 26 Grad Celsius. Eigentlich keine schlechte Uhrzeit, um etwas Strecke zu machen. Die kurze Nacht steckt uns aber in den Knochen. Ich z.B. habe nur zwei Stunden geschlafen, da ich bis um ein Uhr nachts an meinem Blog gearbeitet habe. Um zwölf Uhr ist es schon wieder so heiß, dass wir uns kaum halten können. Wir machen eine ausgedehnte Mittagspause im Schatten von Bäumen (in der Steppe eine Seltenheit) und versuchen, etwas Schlaf nachzuholen.
In einem kleineren Ort fahren wir falsch in den Kreisverkehr, der nicht als solcher ersichtlich ist. Sofort werden wir von der Polizei aufgehalten; wie schon so oft. Heppos Drei-Stufen-Taktik (1. Dumm stellen. 2. Betteln. 3. Das Land und seine Leute loben) hat bisher immer gut funktioniert. Diesmal sind wir aber an besonders harte Bullen geraten, die Geld wittern. 150 Euro sollen wir blechen. Aber Heppo erhält einen Orden für besondere schauspielerische Leistungen. Über eine halbe Stunde hält er seine Taktik durch und gewinnt. Genervt geben ihm die Polizisten unsere Dokumente zurück. Wieder einmal dürfen wir ohne Schmiergeld/Strafe weiter fahren.
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Und das war zuvor: Sibinsker Seen